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Aber das sind auch gar nicht die Gelegenheiten, wo ich mir zuweilen vor schierer Verzweiflung die Haare raufen könnte im Umgang mit meinen Pferden. Die Haare stehen mir immer dann zu Berge, wenn mein Scheckpony Cisco in der Freiheitsdressur nicht durchgaloppiert und immer wieder in den Trab fällt. Der andere Wallach namens Lucky brach vor einigen Jahren jedes Mal bei der Bodenarbeit in den Schlangenlinien an derselben Stelle aus und galoppierte los, als wäre er vom wilden Affen gebissen. Und meine vierjährige Paintstute Queenie, die ist sowieso mit allen Wassern gewaschen. Die zählt sogar: Zwei Runden Galopp macht sie gerne, aber danach keinen einzigen Schritt mehr, wenn es nach ihr geht – einfach zum in die Tischkante beißen. Es wollte vor einigen Monaten einfach nicht funktionieren, aber wir haben natürlich eine Lösung gefunden, die ich persönlich viel pfiffiger finde, als einfach nur durchsetzen.
Horsemanshiplegende Pat Parelli hat ja den so genannten Karottenstecken erfunden. Dazu erzählt er dann auch immer gerne eine kleine Geschichte. Die orangene Farbe symbolisiert die Karotte, weil es ja Menschen gibt, die sich mit ihren Pferden nur über Futter und Gutschi-Gutschi verständigen und brutale so genannte Stockmenschen soll es ja auch geben, die ihr Pferd immer verhauen, wenn es nicht gehorcht. Parelli will weg von den Extremen bzw. ist ein extremer Beschreiter des Mittelwegs und Verfechter von umgekehrter Psychologie. Da habe ich im Studium auch schon mal etwas gehört. Sitzt der Bub auf dem Tisch und Muttern sagt: „Geh sofort darunter.“ bleibt der Bub garantiert oben auf dem Tisch sitzen und lacht sich einen Ast. Aber wehe die Schwester sagt: „Du bleibst auf jeden Fall da oben.“ So schnell kann man gar nicht gucken, wie der Junge vom Tisch gesprungen ist.
Ganz ehrlich: Ich konnte mir früher im Leben nicht vorstellen, dass diese Methode bei Pferden ebenfalls funktioniert und befürchtete, dass das Pferd Oberwasser bekommt, wenn man es gelegentlich mit entscheiden lässt. Aber Probieren geht ja bekanntlich über Studieren. Erstes Versuchskaninchen Jungpferd Queenie – seines Zeichens ein Left-Brain Extrovert. Mit dieser denkwürdigen Bezeichnung werden die aufgedrehten Quasselstrippen unter den Pferden bei Parelli tituliert. Das genau zu erklären, würde zu weit führen, aber es sind sozusagen die Border Collies unter den Pferden: Sie lernen schnell und haben ein Selbstbewusstsein, was durch keine Tür passt. Also ein Pferd, was in der Grundbotschaft ausdrückt: „Du hast mir gar nichts zu sagen.“ aber gleichzeitig so verspielt ist, dass es ihm immer wieder gelingt, seinen Menschen in fürs Pferd recht lustige Streitereien zu verwickeln. Wie war das damals im Kindergarten? Wenn das Kind, was andere provoziert, merkt es kann das Gegenüber ärgern, dann hört es mit den Zickeleien nicht mehr auf. Wie wird man dann so einen Mobber wieder los? Einfach so tun, als würde es einen nicht die Spur tangieren, wenn der provoziert.
Kindergarten-Weisheit flugs auf den Reitplatz übertragen: Pferd bleibt stehen und frisst. Reiterin (also ich) wartet ratlos: War wohl nix. Aber einmal ist bekanntlich keinmal, also versuchen wir das Ganze doch noch einmal bei der Bodenarbeit: At Liberty im Roundpen. Und wie Klein-Queenie so ist: Wenn ich rechts sage, dann sagt sie links und wenn ich vorwärts sage, dann zeigt sie mir das wunderschönste Seitwärts auf mich zu, was man sich erträumen kann. Aber wehe man fragt nach Seitwärts auf mich zu, dann muss sie dringend zeigen, wie gut sie rückwärts gehen kann. Aber dieses Mal hat Madame die Rechnung ohne den Wirt gemacht – der Wirt war ich: Als sie mal wieder links sagte, als ich die Zeichen für rechts gegeben hatte, habe ich überraschend und blitzschnell die Zeichen für links gegeben. Als sie beim verlangten Rückwärts seitwärts auf mich zu kam, habe ich so getan, als hätte ich genau das gewollt und wenn sie los galoppiert ist, dann habe ich schnell hinterher getrieben. Wenn mein Sohn nicht als Zeuge dabei gewesen wäre, würde ich es heute immer noch nicht glauben, was danach passiert ist: Es dauerte keine fünf Minuten und Queenie stand mit gespitzten Ohren vor mir und reagierte danach auf allerfeinste Signale: Wenn ich nach rechts wollte, ging sie nach rechts, wenn ich rückwärts wollte, ging sie doch tatsächlich rückwärts – ich war baff. Es geschehen noch Zeichen und Wunder – wenigstens am Boden. Beim Reiten zählte Queenie immer noch peinlich genau die Galopprunden und blieb mitten aus dem Galopp stehen, wenn Runde zwei zu Ende war. Also noch einmal tief in die Trickkiste gegriffen und die Parelli-Pattern mit dem lustigen Namen „Bullauge“ gefunden: Das ist ein Zirkel, der spiralförmig immer kleiner wird und in der Mitte an einer Pylone mit einer Pause endet. Ist zwar keine umgekehrte Psychologie, hat aber trotzdem geklappt. So wurden aus zwei Galopprunden zweieinhalb und so nach und nach sogar drei, vier oder gar fünf. Meine Tochter beendet auch jede Reiteinheit mit Queenie mit Passagierlektionen, wobei sie zwar gehen muss (Grasen ist nicht), aber das Pferd den Weg bestimmt: Das ist Vertrauensbildung.
Da das Jungpferd nun wie geschmiert lief, mussten als nächstes die Ponywallache für meinen Selbsttest herhalten. Auch hier führt manchmal das Motto „Weniger ist Mehr“ zum Ziel: Wo ich zuvor noch Stick wedelnd nicht unter zwei Runden Galopp eingefordert hatte, habe ich Cisco nun schon nach nur drei Sprüngen zu mir eingeladen. Dem fiel das Lächeln aus dem Gesicht und er ging somit bald ab wie eine Rakete. Mir ging das Parelli-Zitat durch den Kopf, dass man seine Idee zur Idee des Pferdes machen soll, aber zuerst seine Idee verstehen müsste: Ich konnte den Groschen wirklich fallen hören. Auch bei Lucky geschahen noch Zeichen und Wunder: Als er in gewohnter Manier an Pylone drei nach rechts auswich um in einem halsbrecherischen Galopp loszubrettern, habe ich geantwortet: „Du willst laufen, komm ich helfe Dir dabei.“ Mit dem Ergebnis, dass er gar nicht mehr so dringend lospreschen wollte.
Klar: Respekt und Gehorsam sind unverzichtbar, aber es gibt auch Gelegenheiten, wo man in aller Seelenruhe einfach abwarten kann. Als Jungstute Queenie lernen sollte, dass in der Freiheitsdressur in kleinen Zirkel um mich herum traben sollte und sie lieber Riesenkreise auf dem Reitplatz absolvierte, habe ich statt mehr Druck zu machen, einfach so lange abgewartet, bis sie von sich aus immer engere Kreise zog. Das ging schneller als ich dachte.
Ähnlich ging es mit Queenies Mutter namens Fancy, die immer mal wieder unter Strom steht und wohl glaubt, sie befindet sich auf der Rennbahn. Neulich als eine Reitschülerin sie ritt, rannte Fancy im Stechtrab nach vorne. Ich rief meiner Schülerin nur den Ausdruck „Zero Brace“ zu und war froh, dass sie im Parelli-System so bewandert ist, dass sie sofort alles locker ließ, denn das soll es sein: Null Anspannung. Wir hatten jetzt beide erwartet, dass Fancy in Autoscooter-Manier über den Reitplatz hin und her saust. Weit gefehlt: Auch Fancy kennt sich aus im System und es dauerte keine Viertelrunde und Fancy fiel ohne reiterliches Zutun in einen so ruhigen Trab, dass jedes Pleasure-Pferd vor Neid erblasst wäre.
Jetzt denkt der geneigte Leser vielleicht, dass die umgekehrte Psychologie nur bei meinen Pferden funktioniert, weil die vielleicht so schlecht erzogen sind. Aber ich unterrichte ja auch schon mal außerhalb und die Pferde kenne ich erstmal überhaupt nicht. Und was macht man, wenn man sich vorstellt? Man gibt sich die Hand. Beim Pferd nennt man das den Horseman’s Handshake: Pferdenase an Menschenhand. Aber die hübsche Araber-Berber-Mix-Stute sah das anders und traf mit ihrer Nase alles Mögliche nur nicht meine Hand. Rückwärts gehen brachte nichts, den Pferdekopf mit dem Halfter nach rechts und links bewegen erst recht nicht: Sie gab mir zum Verrecken nicht die Hand. Als sich die erste Angstschweiß-Perle auf meiner Stirn gebildet hatte, weil man sich als Horsemanship-Trainerin ja nicht blamieren will, dachte ich: „Hier hilft nur eins: Flucht nach vorn.“ und erklärte der irritierten Besitzerin, dass man natürlich als wahre Horsewoman ein Pferd nicht zum Handshake zwingt, weil das einfach unhöflich ist. Just in diesem Moment stiefelte das Stütchen auf uns zu und stupste zuerst mit ihrer Nase meine Hand und dann die Hand ihrer Besitzerin an. Wow!!! Und die Moral von der Geschicht? Klar brauchen wir Kontrolle übers Pferd, nach Möglichkeit auch über den Hund und den zweibeinigen Nachwuchs. Aber die dürfen eben auch ab und zu ihre eigenen Ideen einbringen und auch mal eine Entscheidung treffen: Nicht immer, aber immer öfter.